Folgende Situation: Lea ist Expertin auf ihrem Gebiet und hat einen guten Job in einer renommierten Firma. Ihr Kollege braucht für ein wichtiges Projekt dringend Unterstützung. Lea hat zwar jede Menge zu tun, erklärt sich aber sofort bereit einzuspringen. Dafür muss sie sich ein neues Thema einarbeiten, aber was soll’s. Sie lernt gern Neues dazu und sie lernt schnell. Dafür macht sie Überstunden, verbringt ihre Pausen mit einem Snack am Schreibtisch statt mit Kolleg:innen beim Kaffee. Sie lässt in der heißen Phase des Projekts ihren Sport sausen, das wöchentliche Treffen mit den Freundinnen, den geplanten Kurzurlaub.
Der Einsatz hat sich aber gelohnt – das Ergebnis wird in der Firma als voller Erfolg gefeiert. Die Lorbeeren sammelt allerdings nicht Lea ein, sondern ihr Kollege, der das Projekt verantwortet. Lea ist unzufrieden.
Was ist schiefgelaufen?
Warum Frauen solche Schwierigkeiten haben, „Nein“ zu sagen
Einer der wichtigsten Gründe, warum besonders Frauen sich damit schwertun, zu zusätzlichen Aufgaben „Nein“ zu sagen, ist: das Patriarchat. Die männerdominierte Gesellschaft. Der Platz, den Frauen auch im 21. Jahrhundert nach allgemeiner Ansicht in Beruf und Gesellschaft einzunehmen haben: am Rand. Ohne anzuecken, ausgleichend, unkompliziert, problemlösend – das ist die optimale Rolle für eine Frau im Arbeitsleben. Auch viele Frauen finden das übrigens. Sie gefallen sich selbst in der Rolle als die Person, die sich um ein freundliches Miteinander im Büro kümmert. Wenn Frauen sich so verhalten, verursachen sie keine Konflikte im Job. Hört sich doch erstmal gut an. Oder?
Es gibt aber unangenehme Nebeneffekte: Frauen kommen mit diesem Verhalten in ihrer Karriere nicht voran. Und stehen oft kurz vorm Burn-Out, denn vielen fällt es auch in Partnerschaft, mit Kindern und unter Freund:innen schwer, Nein zu sagen.
Frauen werden bis heute dazu erzogen, nett, freundlich und hilfsbereit zu sein. Den meisten ist es wichtiger, anderen Menschen zu gefallen als mal nein zu sagen. Sie wünschen sich Anerkennung und scheuen sich vor Konflikten. Oder haben Angst davor, den Job zu verlieren, wenn Sie eine Anfrage vom Chef ablehnen. Lieber eigene Bedürfnisse hintanstellen als nicht gemocht werden. Dazu kommt, dass viele ein geringes Selbstwertgefühl haben, sich nur wenig zutrauen und deswegen unter den Möglichkeiten bleiben. Die Beschäftigung mit überschaubaren Tätigkeiten gibt Sicherheit. Macht aber auf Dauer unzufrieden – so wie Lea.
Der Preis für das Verlegenheits-Ja
Viele Frauen sagen lieber Ja als Nein zu einer Anfrage, weil sie Angst vor Ablehnung haben. Ja zu sagen scheint unkomplizierter. Zumindest auf den ersten Blick. Denn mit der Zeit sammelt sich ein ganzer Rattenschwanz an zusätzlicher Belastung hinter den ganzen Verlegenheits-Jas an:
1. Sie werden im Job unterschätzt
Lea verfügt über die gleichen Qualifikationen und Erfahrung wie ihr Kollege – und dennoch hat sie den Eindruck, im Unternehmen eher als Arbeitsbiene denn als Expertin wahrgenommen zu werden. Sie ist beliebt, hat aber weder eine Gehaltserhöhung noch eine leitende Position erhalten. Everybody’s Darling macht keine Karriere. Nein sagen und sich die Zeit nehmen, im eigenen Fachgebiet voranzukommen, erfordert Zielstrebigkeit und ein bisschen Mut.
2. Sie setzen sich selbst unter Druck und haben Stress
Wachsender Leistungs- und Verantwortungsdruck in Unternehmen sorgt zusätzlich für Überlastung beim Personal. Auch hier ist es wichtig, Nein zu sagen, in Gesprächen und eventuell auch mit einer Überlastungsanzeige. Mit einem solchen offiziellen Schriftstück können Beschäftigte die Vorgesetzten aufmerksam machen und damit sich selbst entlasten. Bei der Gewerkschaft ver.die gibt es kostenlose Informationen und Vorlagen für eine solche Überlastungsanzeige.
3. Sie haben keine Energie mehr, um beruflich voran zu kommen
Wichtig ist es, sich und anderen deutlich Grenzen zu setzen: Deutlich Nein zu sagen – und zwar im Job und im Privatleben. Frauen übernehmen deutlich mehr Care-Arbeit zu Hause als Männer, das zeigen zahlreiche Studien. Aus der Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zum Gender Care Gap wird deutlich: Vor allem in den Jahren zwischen 30 und 40, die im Arbeitsleben besonders wichtig sind. Kein Wunder also, dass für den Job weniger Kapazitäten übrig sind.
Vom halbherzigen Ja zum selbstbewussten Nein-Sagen: unsere 3 besten Tipps
Wer hätte gedacht, dass sowohl Politik, Partner:innen und Arbeitgeber:innen eine so große Rolle beim Nein-Sagen spielen? Selbstverständlich ist aber auch jede und jeder Einzelne für sich selbst verantwortlich, selbstbewusst Nein zu sagen, um sich mit den eigenen Themen, Kompetenzen und Erfahrungen zu zeigen. Und zwar ohne immer wieder über die eigenen Grenzen zu gehen.
Die gute Nachricht ist: Nein-Sagen kann man lernen. Lea hat sich coachen lassen und teilt drei Tipps für ihr bestes Nein:
- Lea hat sich mit ihren eigenen Zielen auseinandergesetzt und hat diese nun deutlich vor Augen. Sie weiß, was sie will und was sie nicht will. So kann sie Anfragen besser abwägen.
- Bevor Sie direkt „Ja“ sagt, bittet Sie jetzt um Bedenkzeit – ein kurzer Moment oder bei größeren Sachen eher länger. So kann sie in Ruhe überlegen, was der Grund hinter der Bitte ist – und ob dieser zu ihren Zielen passt.
- Sie sorgt heute besser für sich selbst und weiß, dass ein höfliches, aber bestimmtes „Nein“ nicht darüber entscheidet, ob sie gemocht wird oder nicht. Es ist ihr auch nicht mehr so wichtig. Sie hat ihre Prioritäten neu sortiert.
Nein Sagen lernen – ein Coaching kann helfen
Haben Sie auch Schwierigkeiten, sich bei der Arbeit abzugrenzen und können niemandem einen Gefallen abschlagen? Landen oft Dinge auf Ihrem Schreibtisch, die wenig mit Ihrer Expertise zu tun haben? Die Folge: Sie rödeln an Zeitfressern rum, organisieren im Stress, dass jemand anderes das Kind von der Kita holt, und machen Überstunden. Ihr männlicher Kollege hat währenddessen Zeit, ein Projekt zu planen, sich auf die Strategiepräsentation vozubereiten und macht pünktlich Feierabend.
Falls Sie das ungerecht finden, aber selbst irgendwie keinen Weg aus dem Hamsterrad heraus finden, kann Ihnen unser Karriere-Coaching helfen.