Toxische Positivität: Gefühlskiller mit anstrengenden Folgen

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Toxic Positivity ist wie ein Halloween Kürbis: nach außen grinsen und innen wird viel Energie für die schöne Fassade aufgewendet. Wir erklären, woran Sie toxische Positivität erkennen und was problematisch daran ist, immer gute Laune zu haben.
Toxic Positivity ist wie ein Halloween Kürbis: nach außen grinsen und innen wird viel Energie für die schöne Fassade aufgewendet

„Na, alles gut?“ ist inzwischen zu einer gängigen Begrüßung im Arbeitskontext geworden. Die erwartete Antwort darauf ist „Ja, alles gut!“. Und schon ist unbewusst der (toxisch positive) Ton für das Meeting gesetzt. Probleme? Gibt’s hier nicht. Alles in bester Ordnung.

Alles gut? Von wegen!

Dieser Artikel gehört zu unserer Reihe „Gute Arbeit – mit Gefühl“. Wir erklären, was toxische Positivität ist und was der Unterschied zwischen dieser „toxic positivity“ und einer gesunden positiven Grundeinstellung im Leben ist. Außerdem geht es um toxische Signalsätze, die Sie aufhorchen lassen sollten. Und warum es sich lohnt, unangenehme Gefühle zuzulassen und den Balanceakt hinzubekommen zwischen „mies gelaunter Grinch“ und zwanghaft guter Laune.

Inhalt

Unangenehme Gefühle gehören zum Leben dazu

Im Leben und bei der Arbeit läuft nicht immer alles nach Plan. Etwas klappt nicht, wir ärgern uns über die Chefin oder sind so richtig angenervt von einem Kollegen. Dinge laufen nun mal hin und wieder schief, daran ist an sich auch gar nichts schlimm. Problematisch wird es erst, wenn wir denken, das darf nicht sein. Wer Negatives partout nicht sehen will, hat möglicherweise ein Problem mit toxischer Positivität.

Das Leben ist kein Ponyhof, die Arbeit erst recht nicht und die Sonne scheint auch nicht immer. Das ist ärgerlich, traurig oder macht wütend – und es ist wichtig, mit diesen Gefühlen umzugehen. Wer jedes Problem weglächeln will und so tut als ob immer alles in Ordnung sei, tut sich selbst keinen Gefallen.

Denn die unangenehmen Gefühle verschwinden davon nicht. Sie werden auf diese Weise nur tief in der hintersten Ecke versteckt. Aber das funktioniert nur kurzfristig. Irgendwann ist selbst in der tiefsten Ecke kein Platz mehr und die Gefühle werden einen Weg finden, sich im Leben zu zeigen. Dann aber nicht als echte Wut, Neid oder Angst, denn die dürfen ja nicht sein. Sondern getarnt – vielleicht als Ungeduld oder geringes Selbstwertgefühl, durch „People Pleasing“, durch Unsicherheit in sozialen Situationen oder, oder, oder.

„Man muss in allem immer das Gute sehen!“ – ist das wahr?

„Man muss in allem immer das Gute sehen!“ –ist Ihnen der Satz schon mal bei der Arbeit begegnet? Oder vielleicht gehört er sogar als Leitlinie zu Ihrem eigenen Leben. Nehmen wir den Spruch mal unter die Lupe.

Wenn ein Satz schon mit „Man muss…“ beginnt, warten in der Regel Schwierigkeiten. Denn: Wer ist eigentlich „man“? Und wer diktiert mir hier, was ich in meinem Leben tun „muss“? „Müssen“ ist immer mit einem Zwang verbunden – das kann auch ein selbst auferlegter sein. Oft ist damit auch eine Anstrengung verbunden. Ein Streben nach etwas, dass nur durch sehr viel Aufwand erreicht werden kann. Wer selbst mit zusammen gebissenen Zähnen noch nach einem „Learning“ sucht, steckt ganz schön viel Energie in dieses Vorhaben. Und nur, um Gefühlen wie Ärger, Wut oder Enttäuschung auszuweichen.  

„Man muss in allem immer das Gute sehen!“ – dieser Spruch, dieser Glaubenssatz kann also zur Stolperfalle werden.

Was ist toxische Positivität?

Wir können und müssen nicht immer und überall gut drauf sein. Im Gegenteil. Es ist wichtig und notwendig, auch unangenehme Gefühle und Gegebenheiten zuzulassen. Wer das nicht tut, hat auf Dauer ein wirkliches Problem. Dann sprechen wir von zwanghaftem Glücklichsein – von toxischer Positivität.

Unter dem Begriff toxische Positivität verstehen wir das Konzept, so der US-Psychologe Konstantin Lukin, dass es der richtige Weg ist, sein Leben positiv zu gestalten, und zwar ausschließlich positiv. Das bedeutet laut Lukin, sich nur auf positive Dinge zu konzentrieren und alles abzulehnen, was negative Gefühle auslösen könnte. Das Konzept passt hervorragend zum Selbstoptimierungswahn unserer Zeit. Nach dem Motto „alles ist gut – und was noch nicht gut ist, wird perfekt gemacht“.

Wir müssen aber in unserem Leben Platz lassen für Negatives, Unangenehmes und Dinge, die wir nicht ändern oder verbessern können. Das gehört nun einmal zum Leben, sagt auch die Autorin Anna Maas. Im SPIEGEL-Podcast „Smarter leben“ spricht sie ausführlich über toxische Positivität.

Beispiele für toxische Positivität im Berufsleben

Wo ist die Grenze zwischen einer positiven Lebenseinstellung und toxischer Positivität? Es gibt Signalsätze, die uns aufhorchen lassen sollten. Einige Beispiele haben wir zusammengestellt.

Stellen Sie sich vor, am Arbeitsplatz haben Sie einen Fehler erkannt oder sprechen ein grundlegendes Problem an. Im Teammeeting bekommen Sie eine Antwort wie diese:

  • „Jetzt übertreibst du aber!“
  • „Das ist doch nicht so schlimm, stell dich nicht so an.“
  • „Das schaffst das schon – sei doch froh, dass du überhaupt Arbeit hast!“
  • „Du siehst das alles viel zu negativ.“
  • „Was sollen da andere sagen, da läuft es noch schlimmer!“
  • „Das wird schon seinen Grund haben, du hast ihn nur noch nicht erkannt.“

Wie wirken diese Sätze auf Sie?

Fühlen Sie sich in Ihren Sorgen ernst genommen und gehört, wenn jemand so reagiert? Vermutlich nicht. Möglicherweise ist das gar keine Absicht von der anderen Person, das ändert aber nichts an der Wirkung.

Und beobachten Sie sich mal selbst im Berufsalltag: Wie reden Sie mit sich selber? Kennen Sie solche Sätze aus Ihrem inneren Dialog, wenn mal was schief gegangen ist? Der Klassiker ist „Stell dich nicht so an!“ Die meisten von uns würden einer Freundin oder einem Kollegen diesen Satz niemals sagen, wenn sie uns gerade erzählt haben, dass es ihnen nicht gut geht. Aber uns selbst verweigern wir oft die Erlaubnis, eine Weile lang einfach mal traurig oder enttäuscht zu sein.

Ein einzelnes Ereignis sagt natürlich nicht viel aus. Aber wenn Sie sich in stressigen Situationen regelmäßig selbst zuzischen „Jetzt reiß dich aber mal zusammen!“ und vielleicht auch von anderen erwarten, immer auf die Sonnenseite des Lebens zu gucken: Das sind Signale dafür, dass Sie einen Hang zu toxischer Positivität haben

Formen von toxischer Positivität

Toxische Positivität kann sich im Alltag und im Berufsleben in verschiedenen Formen zeigen.

  • Bagatellisierung von Problemen: Toxisch positive Menschen neigen dazu, die Probleme anderer herunterzuspielen, so wie in unserem Beispiel im vorigen Absatz. Klassische Sätze sind „Du musst nur fest dran glauben, dann klappt es!“ oder „In anderen Abteilungen läuft es noch viel schlimmer!“
  • Verurteilung von unangenehmen Gefühlen: Good vibes only! Gern kombiniert mit dem Glauben, dass der Selbstzweifel Schuld daran sein, wenn etwas nicht klappt. Gefühle wie Traurigkeit, Angst oder Wut werden als unangemessen oder unnötig abgetan, und auch andere Menschen werden dazu gedrängt, sie zu unterdrücken.
  • Druck zur Fröhlichkeit: Manchmal gibt es Umgebungen, in denen es das Wichtigste ist, gute Laune zu haben und in Harmonie miteinander zu sein – zum Beispiel innerhalb eines Teams. Das kann dazu führen, dass sich Menschen dort unter Druck gesetzt fühlen, immer glücklich und optimistisch zu wirken. Die Folge: Sie trauen sich nicht, ärgerliche Ereignisse offen anzusprechen. Darunter leidet die mentale Gesundheit und auch die Produktivität – zum Beispiel, weil Fehler nicht gemeldet werden und auch keine Kritik geäußert wird.
  • Mangel an Empathie: Toxische Positivität kann dazu führen, dass Menschen die emotionalen Bedürfnisse anderer nicht angemessen erkennen oder respektieren, da sie negative Gefühle nicht akzeptieren.
  • Herunterspielen von Trauma oder psychischen Erkrankungen: Toxische Positivität kann dazu führen, dass Menschen die traumatischen Erfahrungen anderer herunterspielen oder sagen, dass man „einfach darüber hinwegkommen“ sollte.

Das Leben ist kein Ponyhof – Optimismus hilft trotzdem

Nicht mit jedem Menschen ist gut auszukommen – und nicht aus allen Situationen lässt sich etwas Gutes gewinnen, vor allem nicht in dem Moment, wo in uns heißer Ärger hochkocht. Nicht nur privat, sondern auch beruflich begegnen uns immer wieder immer wieder Verletzungen Kränkungen oder Missstände. Kolleg:innen werden krank, wodurch sich Projekte verzögern oder es mehr Arbeit für alle anderen gibt. Die Welt ist voll von nervigem Kleinklein, mittleren Katastrophen und manchmal sogar schweren Schicksalsschlägen.

Eine positive Lebenseinstellung hilft, mit solchen unerwarteten, für uns erstmal nachteiligen Ereignissen grundsätzlich klarzukommen. Es ist die Fähigkeit, Schwierigkeiten und Herausforderungen in einem optimistischen Licht zu sehen, ohne dabei die Realität zu leugnen. Wer das kann, erkennt an, dass unangenehme Gefühle wie Wut, Trauer oder Neid Teil des Lebens sind. Es gibt eben nicht nur gute Laune und Glitzer, sondern auch mal miese Phasen.

Das Gefährliche an toxischer Positivität ist: Wenn Menschen ihre unangenehmen Gefühle und Probleme verleugnen, führt das langfristig zu psychischem Stress, mangelndem Selbstverständnis und Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Es ist wichtig, gesunde Wege zu entwickeln, um mit negativen Emotionen umzugehen, anstatt sie zu unterdrücken oder zu leugnen. Dies kann beinhalten, sich selbst zu erlauben, traurig oder wütend zu sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn nötig, und Mitgefühl und Verständnis für die Gefühle anderer zu zeigen.

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Toxic Positivity: Tipps zum Lesen, Hören, Angucken

Artikel: Toxic Positivity: Don’t Always Look on the Bright Side – Truly process your emotions instead. von US-Psychologe Konstantin Lukin in Psychology today, 01.08.2019

Podcast: Wieso zwanghaftes Glücklichsein auf Dauer unglücklich macht . Interview mit Anna Maas, Autorin von „Die Happiness-Lüge“, im SPIEGEL-Podcast „Smarter leben“

Video: Die Macht des positiven Denkens – die WDR-Sendung „Quarks und Co“ interviewt Psychologin Franca Cerutti zur Balance zwischen gesundem Optimismus und toxischer Positivität.